Altenholz
Guernica
12.05.2021 | Der Guernica hängt im Eivind-Berggrav-Zentrum. Es ist ein universelles Bild von Leiden, Verderben und Tod - und das Ende der Verherrlichung von Gewalt, von Kriegsruhm und Kriegsehre.
von Pablo Picasso (1937)
Das Bild ist die Erinnerung an ein Massaker – der Aufschrei von Menschen, die der Bombardierung durch Menschen ausgeliefert sind – der Schrei der Menschen über das geschichtliche Ereignis hinaus.
Das Bild ist wie ein Sturm; ein Bild voller Leidenschaft und Anklage.
Grell-weiß, tief-schwarz, noch bevor man die Formen erkennt, wird deutlich: hier ist etwas Furchtbares geschehen.
Picasso erschuf dieses Gemälde in kürzester Zeit für die Pariser Weltausstellung 1937, nachdem am 26. April 1937 die deutsche „Legion Condor“ die Stadt Guernica, als Herzstück des Baskenlandes, durch Luftangriffe dem Erdboden gleichgemacht hatte. Guernica wurde zum Symbol des faschistischen Terrors gegen die Zivilbevölkerung im Spanischen Bürgerkrieg. Ein Symbol für dieses – und mehr.
Es ist ein universelles Bild von Leiden, Verderben und Tod.
Im Vordergrund steht die Erinnerung an die Opfer ! Es ist nicht die Katastrophe selbst die hier gezeigt wird – kein Flieger, keine Bombe ist zu sehen; kein Feind, keine Täter ! Nichts bleibt im Bild von dem militärischen Hintergrund, nichts vom grausigen Monstrum Mensch, kein oberflächlicher Hinweis auf die faktischen Mächte. Es sind die Auswirkungen der Gewalt auf den Menschen, ja, auf die ganze Schöpfung – auf Mensch und Tier – die sichtbar werden. Ja Picasso geht sogar noch einen Schritt weiter: wie auch in andere Bildern steht hier der Stier links im Bild für die Aggression, die entfesselte Gewalt. Ganz entmenschlicht ist diese Gewalt – – –
So wird das Verhältnis des Menschen zur Gewalt in einer letztlich apokalyptischen Szene auf erschreckende Weise neu beleuchtet:
Was ist der Mensch nach Guernica, was ist der Mensch nach Auschwitz, was ist der Mensch – heute ?
Was ist, wenn niemand zu finden wäre, der sich als Ursache dieses Leids selbst ganz schuldig sprechen würde – immer gäbe es da Gründe bei Anderen, Andere als Urheber, Andere als Architekten der Tötung, Befehlsgeber.
Es werden Worte des Friedens, des Patriotismus, der ‚Liebe’ zu Freiheit, Vaterland oder Demokratie gesprochen um den Krieg zu begründen, damals wie heute ! Ist immer alles erklärbar? Was bleibt ?
Das Bild ‚Guernica’ zeigt, was bleibt: das Leid, das Ergebnis der Aggression gegen die Unschuldigen, die Folgen des abwesenden Feind, der zuschlägt, – unpersönlich, vom Himmel her…
So ungeschönt muss es sichtbar sein und sichtbar bleiben.
Die Mutter, die um ihr totes Kind , ja was : weint? schreit? es fehlt ein Wort um diese Verzweiflung der Mutter auszudrücken ! Das brennende Inferno mit Menschen die in gleicher Weise weinen-schreien-gen Himmel flehen. Von beiden Seiten, von allen Seiten Guernica, Hiroshima, Auschwitz, hunderte von Namen und Orten wären zu nennen, aus alter und neuer Zeit…
Aber auch erst, wenn wir es so sehen … wenn die Schuldfrage im Hintergrund und das Leid im Vordergrund steht, wenn wir sehen was bleibt…
ist etwas möglich, dass – ganz vorsichtig und zaghaft – mit dem Wort ‚Hoffnung’ bezeichnet werden könnte.
Trost und Hoffnung in diesem Bild ?
Das Zentrum des Bildes nimmt ein Kriegerdenkmal ein, ein Reiterstandbild, das vom Pferd gerissen am Boden zerschellt ist. Was im ersten Blick das Grauen des Bildes ausmacht – der Eindruck des abgetrennte Kopfes und Armes wird zu einer über das Grauen hinausweisenden Botschaft Picassos: das Schwert in der Hand der zerschellten Statue ist zerbrochen ! Links unterhalb des verwundeten Pferdes liegt die ehemalige Kriegerstatue mit weit ausgebreiteten Armen –
Die Statue ist in einzelne hohle Blöcke zerschellt.
Das ist zu Ende, wenn man das Leid sieht: die Verherrlichung von Gewalt, von Kriegruhm und Kriegsehre. Wie das Schwert zerbrechen die Heroisierungen desKrieges. Übrig bleiben hohle Worte, hohle Rechtfertigungen, leere Formen, zerschellt, am Boden…
Der Blick auf das Leid und die Abkehr von der Gewalt-Heroisierung sind DIE Grundlage für etwas neues, das Picasso vorsichtig und zaghaft in die Trümmer des Krieger-Standbildes gemalt hat:
das zerbrochene Schwert – wird — zum Zweig.
Es eröffnet sich ein fast durchscheinender Blick in die Zukunft ohne Bombardement auf Städte und ohne die Gier der Einen, die auf Kosten der Not der Anderen dieser Gier (nach Macht, Einfluss, Rohstoffe, Geld, immer stehen letztlich solche Antriebe hinter dem Beginn eines Krieg) nachkommen.
Es ist dies die zentrale christliche Botschaft:
die Wahrnehmung des Kreuzes als Leid von Verfolgten, von Menschen, einem Mensch. Wahrnehmung nicht mit dem Schwerpunkt der Schuldfrage sondern der Verantwortung- dadurch wird Erlösung von der Gewalt-Verherrlichung und -Zwang möglich !
Die Pflanze, wie auch die Frau, mitte-rechts im Bild richte ihren Blick, ihr Suchen auf das Licht – Kommentatoren des Bildes setzen es mit dem Auge Gottes gleich. Fast noch direkter gehen die Linien jedoch zu der Lampe, die von der Figur aus dem Fenster in das Bild gehalten wird und das Geschehen mit erhellt. Eine Konfirmandin dieser Gemeinde sah die Figur wie einen Geist, „der heilige Geist ?“ fragte sie. Es ist stimmig !
Wenn wir den Blick zu einem ‚Oben’ richten; wenn wir solches Geschehen im ‚richtigen’ Licht erhellen, werden wir einen Blick zu einer ‚echten’ Hoffnung einer besseren Welt erhalten – durch Leid und Grauen hindurch.
Das heißt realistisch sein und bleiben, kein ‚idealistischer Spinner’ …
und eben gerade dadurch hoffend ‚Friedensarbeit’ versuchen.
Es war Krieg – es ist Krieg – solange Krieg ist… dieses Bild ist das Kreuz für heute !
Daher hängt das Grauen auch in unserer Kirche! Da das Kreuz die Antwort des Christentums auf die Gewalt ist!
Daher hat jede Kirche das Symbole der Qual, das Kreuz, ein Marterwerkzeug, in ihren Raum aufgenommen.
So entsteht Befriedung – das ist unsere Hoffnung.
Und dann ?
Ein Krieg, in den man ‚mit Freuden’ zieht, wie 1914 in den ersten Weltkrieg … – wer dieses Bild vor Augen hat weiß es besser. So war es gedacht, als es auch in den Eingang der UN gehängt wurde.
So klar ist die Botschaft, dass es verhängt wurde zur Zeit des Irak-Krieges. Was kann über dieses Bild besser Zeugnis geben, als dass es von kriegsvorbereitenden und kriegsführenden Verantwortlichen derart gefürchtet wird !
Wenn wir das fast durchsichtige Pflänzchen der Hoffnung aus der Mitte des Grauens ernst nehmen, es wichtiger wird als die Zerstörung – dann hat das etwas mit Auferstehung zu tun, mit Neuanfang.
Ein Zweig – ein Hinweis auf den Zweig, den die Taube nach der Sinnflut zur Arche bringt ? Picassos Friedenstauben legen eine solche Deutung nahe.
Zweig und Taube, immer wieder auch Symbole des Geistes, des Heiligen, der guten Botschaft, der Versöhnung.
Unsere christliche Religion ist ein ewiger Anreiz, fast unaushaltbar der Anspruch, der sich damit verbindet.
Wo ist die Geborgenheit, aus der erst die Kraft für die Hoffnung kommt?
Wo kann das Auge (aus)ruhen und Leben schöpfen?
Wir müssen zwischen Blickrichtungen, müssen uns zwischen Räumen und Symbolen hin und her bewegen.
Die Friedenstaube mit dem schon kräftigen Zweig in der Meditationsecke.
Der gekreuzigt Auferstandene dort, die Kreuzform, die hier Erlösung und Herrlichkeit ausstrahlt.
Das Licht der Welt, das durch die Fenster in Vielfarben zerfließt, Kerzen-Lichter, Ganzsein, Heilung.
Alles ist in unserer Kirche zusammen.
So bilden wir in unserer Kirche die Spannung des Lebens zwischen Leid und Freude ab.
So zeigen wir unseren Kindern wie die Welt (auch) gesehen werden kann.
Wovor die Augen zu verschließen weder in der einen noch der anderen Weise möglich ist.